– Leaving the comfort zone –

So dann und wann finde ich mich in Situationen wieder, bei denen ich denke: „Wie bin ich denn hier nur wieder hineingeraten?“
– Ich stehe plötzlich als Vorprogramm von Anne Haigis auf einer Bühne, so groß  wie eine Briefmarke, vor mir ein Raum voll mit Anne Haigis Fans, die mich gespannt anschauen, in der Hand nur meine  E – Gitarre, keine Band, die mich trägt…Schluck!
– Ich sitze im Orchstergraben des Musical Dome/Köln, spiele meine „First Show“. Das ist eine Art Test,  ob man das auch kann, so nach Noten und mit Dirigat. Nur: Normalerweise sitzt neben dem  „First Show“-ler  (also mir) der Hauptgitarrist, der einspringt, wenn die Nerven durchgehen oder der Kollege schlecht vorbereitet ist.
Denn: Es ist zwar ein Test, aber die Show ist  eine ganz normale.  400 Leute, die alle teuer  Eintritt bezahlt haben, sitzen jetzt unter uns und erwarten nichts weniger als eine perfekte Show, die schnurrt wie eine gut geölte  Maschine…während IN der Maschine dem kleinen Zahnrad 27b gerade der erste Schweißtropfen auf die Gitarre perlt, denn:  Neben mir sitzt gar keiner! Der Hauptgitarrist hat abgesagt („Du, ich find das irgendwie schwul, du machst das schon. Mach am besten gleich eine Doppelshow, dann biste auch drinne!“) Der Taktstock des  Dirigenten geht hoch und ich denke: „O.k., Augen zu…und auf! ;-)“
– Ich stehe morgens um 4°° Uhr in Indien vor einem schlecht gelaunten Immigrationsbeamten, der mir ein nuscheliges  „No!“ entgegen knurrt und mir meinen Reisepass (inkl. teurem Visum) wieder auf die Theke knallt. Einreise verweigert (siehe Blog weiter unten: „Gitarrenvertretung auf dem Traumschiff“).
Jedes Mal denke ich dann: “ Wieso stehe, sitze, laufe ich eigentlich hier? Zuhause war doch auch ganz schön.“
Ich glaube, dass da immer ein Mechanismus passiert, der automatisch einsetzt, wenn mir die Dinge zu  gewohnt werden. Der Alltag eines Musikers ist beileibe nicht langweilig, aber auch hier schleicht sich Automatisches ein, spielt sich Routine ab. Diese ist beim Bewältigen der Dinge des Alltags natürlich ansonsten sehr hilfreich. Nicht auszudenken wenn man jeden Morgen eine neue Kaffeemaschine bedienen müsste, ABER: Für einen Kreativen ist zu viel Routine nix.
Ich suche dann immer eine Herausforderung, oder bin aufmerksamer, was neuen Input betrifft, durchlässiger irgendwie. Und dann sage ich manchmal „Bin dabei!“ zu einer Anfrage, die ich normalerweise ablehnen würde.
(O.K. Ausnahme, neulich passiert: „Hi, hör mal, wir haben eine Wolfgang Petry Revival Band gegründet. Wir haben nur noch keinen passenden Sänger. Haste Lust?“…)
Meistens stoße ich aber genau dann eine neue Tür auf. Toll, neu und erhellend wird es allerdings immer erst  NACHDEM es einmal ordentlich ungemütlich wird. Umsonst gibt es schließlich nichts. Aber diesen Aufruhr, Zweifel, wie auch immer,  ist es im Nachhinein betrachtet fast IMMER wert. Man muss sich nur trauen.
Was soll ich sagen:
– Der Solo-Gig vor Anne Haigis hat mir die wichtige Erkenntnis gebracht, dass meine Songs zum großen Teil auch solo funktionieren…und hat viel Spaß gemacht.
– Die „First Show“ hat funktioniert. Ich bin zwar 2 Mal ausgestiegen, aber der Himmel ist mir auch nicht auf den Kopf gefallen. Ich habe die Show danach noch einige Male gespielt.
– Indien war unglaublich beeindruckend. Genauso wichtig wie von Zeit zu Zeit offen für  Neues finde ich im Übrigen, sich vom Ballast des Immer-Gleichen zu befreien. Nur Mut!
Gottogott, ich merke gerade, dass ich wie so ein Lebensberater daher schreibe. Ist nicht so gemeint, mir war da nur etwas aufgefallen.
Danke fürs Lesen und bis bald!
Udo
Foto: Andreas Döring