– Gitarrenvertretung auf dem Traumschiff –

 

Ich musste eine bisschen überlegen um einen geeigneten Titel für den Blog zu finden, aber der Satz trifft es eigentlich genau. Gesagt hat ihn eine Mitarbeiterin der Reederei Deilmann, die sich mit weltweiter Reiseorganisation wirklich auskennt. Sie sollte Recht behalten…

Aber der Reihe nach:

Im Sommer bekam ich eine Anfrage, ob ich mir vorstellen könnte vertretungsweise  für 10Tage den Job des Gitarren-/Sängers  für das Bordorchester auf der MS Deutschland zu übernehmen. Der feste Gitarrist  hatte eine Verpflichtung in Deutschland und ein Ersatz musste her. Der Trip wäre die Winterreise von Indien über Pukhet  (Thailand) und Malaysia bis nach Singapur. Trotz der Traumroute habe ich mir Bedenkzeit erbeten, denn die 10 Tage lagen genau auf Weihnachten und Sylvester, Abflug: 26.12! Nachdem meine Familie das aber abgenickt („…dann kriegst Du aber kein Geschenk“!) und ich zugesagt hatte, kam der nächste Anruf: „Sag mal kannst Du auch schon am 25.12. anfangen? Am 27. liegt das Schiff an einer Insel an und wenn die stürmische See ist, stehst Du da und kannst nicht drauf.“ Schnell zurückgerechnet…das hiesse dann Heiligabend  10°° Uhr Abflug ab Düsseldorf. O.k., wenn ich sowieso schon nicht da bin…

Ich muss dazu sagen, dass ich schon einmal mit der MS Deutschland eine 2-Wochenreise gemacht habe (Hamburg – Kopenhagen – Stockholm – Helsinki – St. Petersburg). Ich weiß also in etwa, wie der Alltag an Bord ist, wenn man von „Alltag“ überhaupt sprechen kann. Die MS Deutschland ist eigentlich ein Grand Hotel auf dem Wasser, Kategorie: 5 Sterne +. Das Servicepersonal ist bestens ausgebildet, für die Passagiere wird alles ermöglicht und es werden weltweit die schönsten Orte angefahren. Schließlich kostet so eine Reise auch ein paar Euro, dafür erwartet man natürlich auch ein bisschen was. Das heißt aber auch, dass man sich als Musiker den Gepflogenheiten anpassen muss. Es gibt eine gewisse Kleiderordnung, die man beachten sollte und einigermassen normale Umgangsformen sollte man schon haben.

Die Band spielt nahezu täglich. Dazu gehören Galas, Künstlerbegleitungen (Ireen Sheer war da), Pool Partys, Cocktails etcpp. Unterbeschäftigt ist man also nicht, da auch noch Proben und Begleitungen anderer Künstler dazu kommen. Dafür entfällt aber das z.B. Aufbauen und Soundchecken.  Ein (fähiger!) Tontechniker ist an Bord und der Sound ist verlässlich gut.

Da die Reise Anfang Dezember begonnen hatte, war die Band schon ein paar Wochen auf dem Schiff und  ich musste „individuell“ anreisen. Hierin lag dann auch die Herausforderung…

Folgendes war geplant: 24.12. – 10°° Uhr: Abflug Düsseldorf – Zwischenlandung Abu Dhabi – 25.12. 4°° Uhr  Ankunft Chennai (ehemals Madras)/Südindien, Zoll-/Einreiseformalitäten erledigen, vor dem Flughafen einen örtlichen Agenten treffen, der mich zu einem Hotel zum Frühstücken/Zeit überbrücken bringt, 8:30 auf das Schiff, 18:00 Uhr Auslaufen Richtung Port Blair. Ursprünglich war geplant einfach ein Taxi vom Airport zum Hafen zu nehmen und die 2 Stündchen irgendwo zu warten. Auf den Vor-Ort-Agenten bestand die Reederei aber, Grund: Siehe Blogtitel!

Folgendes passierte:

Nach 14 Stunden Flug  komme ich in Chennai an. Indien verlangt für die Einreise ein Visum, das man sich vorher über ein Visa-Büro besorgen muss. Ich lege also meinen Reisepass dem (gelangweilten) Immigrationsbeamten vor und er fragt, was ich in Indien will. Ich radebreche etwas von „Cruiseship“, „Harbour“ und „Musician“ vor mich hin und er fragt nach einem Hotel, wo ich übernachte und der Telefonnummer desselbigen. Ich versuche ihm meine besondere Situation zu erklären und dass ich ja über den Hafen sofort wieder ausreise, in 4 Stunden. Mit Erfolg: Er legt mir meinen Reisepass wieder hin und sagt: „No!“

In meiner aufsteigenden Panik wird mir langsam klar, dass die Uhren hier wohl etwas anders ticken. Plötzlich beginnt neben mir eine Inderin auf den Beamten einzureden (auf Hindi). Nach ca. 10 Minuten Hin-und Her-Diskussion mit ihr (und mir) wirft  mir der Mann den Pass mit einem Kopfschütteln auf den Tresen und nuschelt: „O.K.“…

Danke, unbekannte Inderin!

Draussen vor dem Flughafen (4:30 Uhr, 25°C, 80% Luftfeuchtigkeit) stehen ca. 100 Inder vor dem Ausgang, viele machen Fotos von den Ankommenden. Wer leider nicht da ist, ist der Agent… Das ist ein Dilemma, denn sobald ich versuche durch die Menge auf den Vorplatz zu kommen um ihn zu suchen, werde  ich umschwirrt von „Dienstleistern“: …“where are you from?“… „Hello, Sir! Taxi?“…“How are you today?“…”where do you want to go to?”…”Hello Sir! Sir!!” Keine Chance, kein Durchkommen. Ich gehe zurück, biete einem Jungen, auf dessen T-Shirt “ Aiport Chennai – Staff“ steht, 5 Dollar, wenn er mir den Agenten bringt. Das funktioniert. Der Agent stand weit draußen, das wäre ein Spießrutenlaufen geworden. Er bringt mich dann quer durch Chennai zum Hotel und erklärt mir, dass das Schiff nicht vor 18°° Uhr einlaufen kann. Das Problem ist nämlich, dass man das Hafengelände nicht betreten darf, bevor das Schiff nicht in Sichtweite ist! Ups, jetzt bin ich doch ein bisschen froh, dass ich das nicht alleine geregelt habe, sondern einen Ortskundigen dabei habe.

Soweit die Einreise.

Indien, zumindest der Teil, den ich dann sehen konnte, ist voller Kontraste: Wunderschön, bunt, die Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Aber abseits der Hauptstraßen herrscht bittere Armut. Familien leben unter Pappdächern in total verdreckten Hinterhöfen, ich glaube ein funktionierendes Abwassersystem gibt es auch nicht überall. Jeder hat ein „Business“, das er anbietet: Viele Tuk-tuks, die einen fahren wollen („Hello Sir!“), Garküchen,die einheimisches Essen anbieten, gibt es alle paar Meter. Eine Fahrradwerkstatt direkt auf dem Gehweg arbeitet mit Werkzeug, das ich noch nie zuvor gesehen habe.

 

Am Nachmittag holt mich der Agent vom Hotel ab um mich mal eben zum Hafen zu bringen…so dachte ich zumindest. Was dann kommt, ist für einen Westeuropäer allerdings nur noch schwer nachzuvollziehen:

Die Fahrt geht wieder quer durch die Stadt zum Hafeneingang (Schranke mit bewaffneten Soldaten)… wo wir abgewiesen werden. Es fehlt noch ein Papier. In Indien fehlt anscheinend immer ein Papier,  und wenn das Papier nicht fehlt, dann fehlt die Kopie von dem Papier, oder dessen Kopie. Auf jeden Fall müssen wir irgendeinen Beamten treffen, der uns einen Stempel geben soll. Wir fahren los. Die „Behörde“ entpuppt sich als der Parkplatz eines alten Hafengebäudes an einer viel befahrenen Straße. Dort treffe ich (auch in Begleitung eines Agenten) eine Passagierin der MS Deutschland, die auch “individuell“ angereist ist. Sie ist total krank, hat kaum noch Stimme und wahrscheinlich Fieber. Wir warten ca. 1 Stunde bis jemand über den Parkplatz gehastet kommt und uns 2 Stempel auf 2 Papiere drückt. Hurra! Jetzt geht es auf das Schiff! Nicht! 😉

Denn zurück an der Hafenschranke heißt es erst einmal: Raus aus dem Wagen, Visum/Reisepass kopieren, Unterschrift leisten, reden, warten. Die Dame ist so krank, dass sie aus Versehen hinter meinem Namen unterschreibt. „Na ja“, denke ich, „wird schon nix machen“, und unterschreibe hinter Ihrem Namen…Hauptsache fertig werden. Nach 15 Minuten geht es weiter. 10 Minuten später, wir glauben es kaum, stehen wir tatsächlich vor dem Schiff an der Hafenmole. Mit uns stehen dort an die 10 „Hafenbeamte“. Wer hier das Sagen hat ist, zumindest für mich, völlig unklar (und ich glaube den Agenten auch). Wieder heißt es warten. Das Gepäck muss noch “gescannt“ werden (Warum? Wir reisen aus). Also wird es ausgeladen und irgendwo hingestellt. Nach mittlerweile wieder 20 Minuten und endlosen Diskussionen mit zwei Offizieren der Deutschland, die hinzugekommen sind, machen die das einzig Richtige: Die Dame wird unbemerkt an Bord gebracht…ohne ihr Gepäck, das bleibt stehen. In mir regt sich die vage Hoffnung, dass das Schauspiel  für mich jetzt auch bald vorbei ist, denn incl. Zeitverschiebung bin ich jetzt seit knapp 30 Stunden auf den Beinen. Ich mache schon Erinnerungsfotos mit dem Agenten („Thank you so much for your help!“), da kommt auch schon ein Beamter der Hafenbehörde und eröffnet mir, dass ich noch einmal mit muss. Warum? Richtig: Es fehlt noch ein Papier. Ach nee, ein Stempel! Nein, es fehlt die beglaubigte Kopie eines Stempels…oder so ähnlich.

Ich denke geradedarüber nach Fieber vorzutäuschen,  da geht es auch schon zurück in irgendein Amt. Dort sitze ich eine weitere Stunde, sehe ca. 15 Leuten bei der Arbeit zu und werde nervös, denn in 60 Minuten muss ich auf der „Deutschland“ auf der Bühne stehen. Die erste sms kommt rein („WO BIST DU?“). Ich sitze hier, keine Ahnung warum.

Mittlerweile glaube ich auch das Arbeitsprinzip zu verstehen: Es hat einfach jeder irgend einen Job. Ein abgefertigter Reisepass geht durch 4 Paar Hände, bis er bei einem jungen Mann landet, dessen einzige Aufgabe es ist, das Dokument jemandem zu überreichen, der es in eine Holzkiste legt. Ich beginne darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre die Holzkiste gleich neben den Computer…ach  egal. Als mir dann endlich das finale Dokument zur Unterschrift vorgelegt wird, sehe ich dass es das mit den beiden vertauschten Unterschriften ist. Ich soll nur noch eben die Telefonnummer dahinter schreiben, das wäre es dann gewesen…..

Lieber unbekannter Telekom Kunde, dessen deutsche Festnetznummer ich nonchalant unter dieses Dokument gesetzt habe: Es tut mir leid!!

Die Tour durch Süd Ost Asien danach ist ein Traum. Wir landen tatsächlich NICHT an der indischen Insel, an der ich ursprünglich aufsteigen sollte (puh!). Die Band ist cool und die Stimmung gut. Die Länder sind sensationell und absolut sehenswert. Ein etwas komisches Gefühl ist es am Paton Beach auf Pukhet zu stehen. Dort kam 2006 der Tsunami rein, der so viele Menschen das Leben gekostet hat. Davon sieht man aber nichts mehr. Wenn man etwas erkunden will, nimmt man sich ein Tuk – tuk oder ein Taxi und fährt einfach los. Einzig Singapur hinterlässt ein komisches Gefühl. Zum einen weil dort tatsächlich die Todesstrafe verhängt (und ausgeführt) wird, und zwar u.a. wegen Drogenhandels, auch in kleinsten Mengen und auch gegen Ausländer. Zum anderen weil ich noch in keinem Land so viele Überwachungskameras gesehen habe.

Dass ich auf dem Rückflug in Abu Dhabi in der Lobby des Hotels übernachten muss, obwohl ich alles so schön geplant hatte, fällt unter die Rubrik: „Alles was Du genau planst, klappt sowieso nicht…“

Danke fürs Lesen und bis bald!

Udo